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  Félix Peña

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  KAS/Auslands-Informationen. Konrad Adenauer Stiftung | Junio de 2001

Der Mercosur: Rückblick auf ein Jahrzehnt - Ausblick auf die Zukunft


Vier Ebenen einer Erfahrung
Das Wort Mercosur ruft gleichzeitig den Gedanken an eine regionale Realität, eine strategische Idee, einen formalen Prozess mit seinen Mechanismen sowie ein Bild hervor.

Die regionale Realität
Als regionale Realität hat der Mercosur viele Dimensionen. Er stellt ein internationales Subsystem dar, das die Politik, die Wirtschaft und die Kultur umfasst. Seinen Ausdruck findet dieses System hierbei in Konzepten und Verhaltensweisen der Regierung, der Unternehmerschaft und der Zivilgesellschaft, in Handels- und Investitionsflüssen sowie in auf Interaktion beruhenden Netzwerken, die viele Ebenen des gesellschaftlichen Lebens bestimmen. Es prägt einen geographischen Raum, der sich auf ganz Südamerika erstreckt. In seinem eigentlichen Kern schaut der Cono Sur auf eine Geschichte der Gemeinsamkeiten, selbst der gemeinsamen Konflikte, deren eigentliche Wurzel auf der Iberischen Halbinsel zu suchen ist.

Die strategische Idee
Als strategische Idee, die ihre politische Konkretion unter den Präsidenten Alfonsm und Sarney erfuhr und die anschließend von den Gründern und Fortführern des Mercosur aufgegriffen wurde, bedeutet eben dieser Mercosur das Bestreben, der Logik der Integration den Vorzug vor der Logik der Zersplitterung zu geben und somit einen gemeinsamen Raum der Stabilität und der Demokratie zu schaffen, dessen Träger ihre Ressourcen und Märkte teilen und die gemeinsam auf internationaler Bühne konkurrieren und Handel treiben. Dies ist keineswegs eine abstrakte Idee. Sie hat vielmehr konkrete Motive und Ausdrucksformen, die in ihrer Intensität und der Frage der zu setzenden Prioritäten unter den jeweils verschiedenen Umständen und bei den einzelnen Partnern durchaus nicht gleich sein müssen. Selbst innerhalb eines Landes - seiner gesellschaftlichen Gruppen, Sektoren und Regionen - kann die Idee der Integration die Antwort auf unterschiedliche und nicht notwendigerweise miteinander in Einklang zu bringende Beweggründe sein.

Zum Zeitpunkt ihres Aufkommens im Jahre 1986 stand die strategische Idee in engem Zusammenhang mit der Notwendigkeit, den Wiederaufbau der Demokratie zu fördern. Später kamen andere Zielsetzungen hinzu, die der gemeinsamen Arbeit Impulse verliehen und die im Zusammenhang mit den sich in den jeweiligen Ländern abspielenden Prozessen der Produktionsumwandlung und der Handelsöffnung sowie mit den die gesamte Hemisphäre umspannenden Verhandlungen standen. In einigen Fällen mag die Notwendigkeit vorrangig gewesen sein, die Verhandlungsmöglichkeiten auf dem Gebiet des Handels, beispielsweise mit den USA, zu erweitern. In anderen Fällen mag es dagegen in erster Linie darum gegangen sein, den Zugang zu einem erweiterten Markt sicherzustellen, um so die Produktionsumwandlung durch eine Erhöhung der Anziehungskraft für Investitionen zu stützen, was wiederum eine Steigerung des Wohlstands der Bevölkerung nach sich ziehen würde. Dies sind keine sich ausschließenden Zielsetzungen. Im Gegenteil, die verschiedenen Partnerländer wissen, dass derartige Ziele vor dem Hintergrund ihrer engen Beziehung ein Gleichgewicht der jeweiligen Nationalinteressen schaffen, das es erlaubt, eine solide Partnerschaft untereinander aufzubauen.

Jedoch zeigt die Erfahrung, dass die Idee der Integration, wenn sie auf Dauer tragfähig sein will, in ihrer strategischen; Dimension die Schaffung eines regionalen Umfeldes bedeuten muss, das das Erreichen prioritärer nationaler Zielsetzungen noch mehr begünstigt. Somit ist sie keine aus einer hypothetischen supranationalen Rationalität erwachsende eines jeden der Partnerländer. So gelangt man also von der nationalen Idee kommend zur regionalen, und nicht umgekehrt.

Aus der tiefsten kulturellen Wurzel heraus, d.h. aus der Notwendigkeit heraus, die nationale Identität angesichts der durch die Globalisierung freigesetzten Zentrifugalkräfte zu betonen und zu behaupten, entspringt die Strategie eines gemeinsamen Arbeitens, eines Arbeitens in systematischer Form und mit dauerhafter Perspektive. Die strategische Idee bringt nicht notwendigerweise ein unumkehrbares Phänomen hervor. Sollte dies doch der Fall sein, so wird man es erst im Laufe der Zeit wissen. Aber ihr Wesensmerkmal, also das, was diese Strategie zu einem Phänomen macht, das sich beispielsweise von dem Phänomen gutnachbarschaftlicher Beziehungen zwischen aneinander grenzenden Nationen unterscheidet, ist das, was ein Streben nach Unumkehrbarkeit in sich birgt. Von daher hat der die Partnerschaft bestätigende Pakt - in diesem Fall der Vertrag von Asunciön - permanenten Charakter. Dieser öffnet übrigens keinen geradlinigen Weg, ganz im Gegenteil: Wie die europäische Erfahrung zeigt, gab sich dieser Weg als ein vielfach gewundener zu erkennen, der sogar von Krisen und gelegentlichen Rückschlägen keineswegs frei war. Der Irrtum bestand oftmals darin, die Idee der Integration als eine Art beleuchteter Autobahn in Richtung Wohlstand und grenzenlosen Fortschritt zu verkaufen!

Der formale Prozess und seine Mechanismen
Als formaler Prozess mit seinen Mechanismen bedeutet der Mercosur die Entwicklung von Mechanismen und Zeitplänen zur gemeinsamen Gestaltung von Märkten und Ressourcen, zunächst im Rahmen einer Zollunion und dann im Rahmen eines gemeinsamen Marktes. Ziel ist es hierbei, Kapazitäten für die internationalen Handelsgespräche zusammenzuziehen, eine dynamische Konzertierung der Nationalinteressen zu erreichen sowie gemeinsame Prinzipien, Kriterien und Spielregeln - formale, informale und stillschweigend mit einbezogene - festzusetzen, die wiederum dazu dienen sollen, die Vorgehensbestehen in einer Vielzahl von Signalen an Bürger, Investoren und Drittländer, die zu erkennen geben, welche Ziele verfolgt werden sollen, innerhalb welcher Fristen dies geschehen soll und welche Wege zur Verwirklichung der gemeinsamen Ziele einzuschlagen sind. Im Verlaufe der Entwicklungsgeschichte des Mercosur wurde diese Art von Signalen, die Mechanismen und Spielregeln zu erkennen geben, häufig aus dem Blick verloren.

Sie sind weder Mechanismen noch Spielregeln - und könnten dies auch nicht sein -, die nur im Bereich des kurzfristigen Handels ihre Geltung haben. Für diesen Zweck war es kaum erforderlich, ein solch komplexes und ambitiöses Gebilde wie den Mercosur zu schaffen. Im Gegenteil, seine Legitimität wurzelt in dem langfristigen, ausdrücklich im Sinne der Partnerschaft formulierten Ziel der Entwicklung eines gemeinsamen Marktes - so wie er im Vertrag selbst definiert worden ist -, der auf dem Prinzip der Wechselseitigkeit von Rechten und Pflichten der Vertragspartner beruht. Daher können dessen Ergebnisse auch nicht nur in Welthandels-und Konjunkturbilanzen gemessen werden. Um eine Richtung zu haben, die zu einer Art Vermittlungsdiplomatie führen könnte, existieren Mechanismen und Spielregeln - oder sollten existieren -, die tatsächliche Auswirkungen auf Investitionsentscheidungen und Strategien sowohl einheimischer als auch ausländischer Unternehmer im Hinblick auf den erweiterten Raum oder auch auf das Verhandlungsverhalten von Drittländern haben könnten. Qualität und Effizienz dieser Mechanismen und Spielregeln hängen in hohem Maße von dem Grad an Vorhersehbarkeit ab, der den Investoren geboten wird, aber auch von den Zukunftsperspektiven, die den Bürgern eröffnet werden. Deren hauptsächliche Ergebnisse müssen dann an den Auswirkungen auf die in jedem der Mitgliedsländer getätigten Investitionen gemessen werden, die wiederum eine Folge der verbürgten Garantie eines unbeschränkten Zugangs zum integrierten Markt ist, aber auch der gewährten präferenziellen Behandlung von aus Drittländern stammenden Gütern und Dienstleistungen.

Je prekärer die Spielregeln sind, umso negativer werden sie sich auf das Investitionsverhalten gegenüber jenen Partnerländern auswirken, die über Märkte mit relativ geringer Dimension verfügen. In dem Maße, in dem ein Investor in dem erweiterten Wirtschaftsraum zu operieren plant, wird seine Schlüsselfrage stets die sein, ob er für seine Güter und eventuell auch für seine Dienstleistungen tatsächlich den gesicherten unbeschränkten Zugang zu den 200 Millionen Verbrauchern hat - und in diesem Falle, wer ihm diesen Zugang garantiert (Dimension des Freihandels) - aber auch die nach dem konkreten Unterschied, der sich aus der Frage ergibt, ob er seine Operationen inner- oder außerhalb des erweiterten Wirtschaftsraumes durchführt (Dimension der Zollunion und des gemeinsamen Marktes). Das Verhalten der Investoren, und somit auch die Wirksamkeit des Integrationsprozesses für ein jedes der Partnerländer werden in hohem Maße von der Qualität und Tragfähigkeit der tatsächlichen Argumente, die eine Anwort auf diese Fragen gestatten, abhängen. Hier liegt in letzter Instanz der Unterschied zwischen einem "regelorientierten" (rule-ori-ented) Prozess im Hinblick auf eine Alternative, die die Wirklichkeit selbst präsentiert, sowie einem machtorientierten (power-oriented) Prozess, in dem die Regeln der einseitigen Ermessensfreiheit eines jeden Partnerlandes im Hinblick auf dessen tatsächliche Ausstattung mit relativen Machtmitteln unterworfen sind.

Das Bild
Als Bild ist der Mercosur das Ergebnis seiner Wahrnehmung durch Bürger, Investoren und Drittländer. Gemeint ist hiermit der Empfang der von den Regierungen im Rahmen des Prozesses und mittels der eigenen Mechanismen und Spielregeln ausgesandten Signale durch die genannten Hauptadressaten. Der Mercosur stellt die Umsetzung dieses Empfangs in konkrete Erwartungen und Verhaltensweisen dar. Je schwächer, ungenauer und flüchtiger diese Signale sind oder je schlechter ihre Qualität ist, umso weniger Einfluss haben sie auf ihre Adressaten, denn schließlich wirken sie sich auf die Effizienz bzw. auf die erhofften Ergebnisse aus. Ganz offensichtlich ist dies der Fall bei den In-vestitionen, die auf den erweiterten Markt abzielen.

Das Bild kann daher nicht einfach aus der rhetorischen Erklärung, der Rede, entstehen. In dem Maße, in dem es sich unter den gegebenen Machtverhältnissen als stabil erweist, stellt es im Übrigen ein wesentliches Element in der Artikulation der Regierungsabsichten dar. Jedoch der kritische Blick besonders der Investoren sowie der Drittländer, mit denen man in Verhandlungen einzusteigen wünscht, wird die Qualität der gefundenen Kompromisse, ihre Solidität und Einklagbarkeit, aber auch ihre Fähigkeit, sich in der Wirklichkeit zu behaupten, ihre Projektionskraft und ihre Dauerhaftigkeit einer sehr genauen Prüfung unterziehen. Wenn es keine Abstimmung unter den verschiedenen Mechanismen - beispielsweise die unbeschränkte Öffnung der Märkte und die makroökonomische Koordination - gibt, oder wenn es auf grundlegende Fragen - beispielsweise auf die nach dem ausbleibenden Fortschritt in der makroökonomischen Koordination oder auf die nach den durch die Mitgliedsländer zu ergreifenden Maßnahmen, falls ein erhebliches Ungleichgewicht im Umtauschsystem die Wettbewerbsfähigkeit der jeweiligen Seite verzerrt - keine befriedigende Antwort gibt, oder wenn schließlich die Unsicherheit der Aussichten auf eine Verwirklichung der Zollunion oder des gemeinsamen Marktes zunimmt, werden die Investoren, die durch den in Aussicht gestellten erweiterten Raum angezogen werden könnten, ihre Entscheidung hinterfragen oder in eine Wirtschaft mit entsprechend größeren Dimensionen investieren. Dies wäre aus ihrer Sicht das vernünftigere Verhalten. Und auch die Drittländer werden die dem geplanten Block innewohnenden Schwächen wahrnehmen und die Konsequenzen ziehen, indem sie beispielsweise den potenziellen, unter den Mitgliedsländern herrschenden Zentrifugalkräften neue Impulse verleihen werden. Auch aus ihrer Sicht wäre dies das vernünftigere Verhalten.

Zehn Jahre Erfahrung: Fortschritte und Rückschläge in allen Bereichen

Die regionale Wirklichkeit
Auf einer ersten Ebene, d.h. auf der Ebene der regionalen Realität, sind die in den vergangenen zehn Jahren erzielten Fortschritte offenkundig. Dies geben das Wachstum des wechselseitigen Handels ebenso zu erkennen wie die in dem integrierten Raum als solchem getätigten Investitionen. Hierbei ist es schwer zu sagen, in welchem Maße diese Fortschritte auf den formalen Prozess und die Mechanismen des Mercosur zurückzuführen sind bzw. in welchem Maße auf den Umstand der geographischen Nachbarschaft von Ländern, die sich in hohem Umfang dem internationalen Handel geöffnet haben. Die Frage, was mit dem Handel und den Investitionen passiert wäre, wenn der Mercosur als Prozess nicht existiert hätte, kann ebenso wenig in präziser Form beantwortet werden.

Sicher ist dagegen, dass man von einer Situation relativ niedriger Interdependenz - gemes-sen durch verschiedene Indikatoren im Bereich des Handels und der Direktinvestitionen, aber auch durch Indikatoren, die den Entwicklungsgrad grenzüberschreitender wirtschaftlicher und gesellschaftlicher Netze zu erkennen geben, sowie durch jene, die die Bereitschaft zu einer gemeinschaftlichen Verteidigung der Demokratie, so wie seinerzeit zum Ausdruck gebracht angesichts einer politischen Krise in Paraguay, erkennbar machen - zu einer Situation umfassender Interdependenz übergegangen ist. Diese macht es nahezu unmöglich, dass das, was in einem der Länder geschieht, keine gravierenden Auswirkungen auf das politische und wirtschaftliche Leben in den anderen Ländern hätte. Noch ist das Niveau wirtschaftlicher - und auch politischer -Interdependenz nicht erreicht, das die europäischen Länder aufwiesen, als sie im Jahre 1950 durch den Pariser Vertrag die EGKS (Anm.d.Ü.: Europäische Gemeinschaft für Kohle und Stahl) schufen, oder als sie im Jahre 1958 den Weg in Richtung des Gebildes einschlugen, das heute die Europäische Union darstellt. Aber auch das in Nordamerika im Jahre 1994, zum Zeitpunkt der Gründung der NAFTA, existierende Interdependenzniveau ist noch mcnt erreicht.

Dennoch, sowohl die Politiker als auch die Bürger im Mercosur, und, dies besonders, jene, die Ersparnisse in die Region investiert und eingebracht haben, haben heute das Gefühl, im gleichen Boot zu sitzen. Das, was in den Volkswirtschaften der jeweils anderen Länder geschieht, spiegelt sich sogar in dem Übertragungseffekt wider, den dies auf die Wirtschaft des jeweils einzelnen Landes hat. Dies ist in besonderem Maße der Fall, wenn das in Schwierigkeiten befindliche Land eines der größeren ist. Was das "Risikoland" (riesgo pais) betrifft, so darf der Integrationsprozess der Märkte als abgeschlossen angesehen werden, und dies auch trotz des Strebens nach Differenzierung, das jeweils in kritischen Situationen aufkommt.

Sich auf dieser Ebene einen Rückschritt vorzustellen, d.h. einen Rückzug auf das Niveau einer niedrigeren Stufe der Interdependenz, ist nicht einfach. Was dagegen vorstellbar ist, sind Veränderungen im Bereich der Interdependenz auf regionaler Ebene. Die in der eigenen Region gemachten Erfahrungen -vor der Verkündigung des Integrations- und Kooperationsprogramms zwischen Argentinien und Brasilien sowie dem später erfolgten Start des Mercosur -, aber vor allem die Erfahrungen anderer internationaler Subsysteme, wie in der Vergangenheit des europäischen und in der Gegenwart desjenigen im Nahen Osten, verdeutlichen, dass die Situation einer wachsenden Interdependenz innerhalb einer Gruppe von Ländern, die sich den gleichen geographischen Raum teilen, sowohl ein überwiegend konfliktives als auch ein überwiegend kooperatives Potenzial in sich bergen kann. Der nicht nur politische, sondern auch wirtschaftliche Nutzen ist äußerst hoch, wenn eine überwiegend konfliktive Form zugunsten einer überwiegend kooperativen Form der Interdependenz aufgegeben wird. Dies belegt die europäische Erfahrung der letzten fünfzig Jahre, zumal dann, wenn diese in Vergleich zu der der vorhergehenden Jahrhunderte gesetzt wird. Auch dies kann wiederum nicht nur in Kategorien von Handelsflüssen oder der Entwicklung gemeinsamer Projekte im Bereich der physischen Infrastruktur gemessen werden.

Auf einer zweiten Ebene, derjenigen der strategischen Idee, lässt sich im Verlaufe der vergangenen fünfzehn Jahre eine größere Kontinuität und Dauerhaftigkeit der politischen Führung in der heute als Mercosur bezeichneten Region beobachten. Dies ist vielleicht der wesentliche Beitrag der so genannten präsidialen Diplomatie zum Aufbau des Mercosur als Raum der Integration und der Solidarität seiner Mitgliedsländer untereinander gewesen. Diese Beobachtung wurde jeweils zum Zeitpunkt der Gründung in den Jahren 1986 und 1990 gemacht. Sie wurde jedoch besonders auch in Krisensituationen gemacht, wie z.B. zur Zeit der Krise im Automobilsektor des Jahres 1995, in den durch die Rezension geprägten Jahren 1998 bis 1999 und selbst in jüngster Zeit, als Argentinien sich, wie in der Vergangenheit auch Brasilien in ähnlicher Form, zur Ergreifung von Ausnahmeschritten gezwungen sah.

Eine ausführliche Untersuchung der genannten Geschehnisse, die aus naheliegenden Gründen den Rahmen der vorliegenden Erörterungen sprengen würde, würde deutlich machen, dass die politische Führung in allen Fällen einer Verfolgung der strategischen Richtung den Vorrang vor den besonderen Umständen eines Augenblicks oder eines bestimmten Konfliktes eingeräumt hätte. Hierbei fallen zwei entscheidende Wesensmerkmale des präsidentiellen Führungskonzepts ins Auge: Die aus langfristiger Sicht erfolgte Einordnung der Bewertung jeder spezifischen Situation in den weiteren Rahmen der im regionalen und globalen Strategieplan übereinstimmenden Interessen sowie die Anerkennung der Tatsache, dass das "Wichtigste für das gemeinsame Vorhaben die wirtschaftliche und politische Gesundheit (Demokratie, Wachstum und wirtschaftliche Stabilität) der jeweils einzelnen Mitgliedsländer ist. Dies hat die politische Führung dazu bewogen, im Falle eines von ernsthaften Schwierigkeiten bedrohten Partnerlandes mit großer Umsicht zu agieren, d.h. die gefundenen Kompromisse nötigenfalls flexibel zu handhaben oder das Fortschrittstempo bei der Gestaltung des wirtschaftlichen Integrationsprozesses anzupassen. Aber auch auf dieser Ebene der strategischen Idee lassen sich jenseits der Übereinstimmung in allgemeinen Fragestellungen unterschiedliche Vorstellungen der Partnerländer feststellen, was die Fragen nach den bevorzugten Schwerpunktsetzungen sowie nach dem Verhandlungsspielraum angeht, den die jeweils anderen Parteien zur Verfolgung ihrer jeweiligen strategischen Interessen haben. Für bestimmte Momente hat das Gefühl möglicher fehlender Loyalität, fehlender Alternativen oder Fehleinschätzungen über die tatsächliche Verteilung von Kosten und Nutzen - z.B. die ausschließliche Berücksichtigung der globalen Handelsbilanzsalden - bei dem ein oder anderen Partnerland dazu beigetragen, das Bewusst-sein für die Existenz einer im Grunde von allen Partnern getragenen oder, dies zumindest, einer für alle Partner kompatiblen Strategie zu trüben. Auf die Ebene der in den jeweiligen Partnerländern herrschenden öffentlichen Meinung übertragen, bedeutet dies, dass als Konsequenz in der aufgeheizten Stimmung einer Krisensituation bisweilen eher eine Kultur des Konflikts als eine der Kooperation gefördert wird. Hierin liegt eines der Probleme, die in Zukunft ein höheres Maß an Aufmerksamkeit erfordern, wenn die Ursprungsidee des Mercosur gestärkt werden soll.

Die Tatsache, dass auf dem Feld der politischen Führung eine große Kontinuität in der Unterstützung der strategischen Idee zu beobachten ist, bedeutet indes nicht, dass im Bereich der jeweiligen nationalen Wirtschaftspolitik stets die Konsequenzen aus den auf regionaler Ebene gefundenen Kompromissen gezogen worden sind. Im Gegenteil, der wachsende Bedeutungsverlust der regelmäßigen Treffen - die nicht einmal mehr als solche bezeichnet werden können - der Wirtschaftsminister und Zentralbankpräsidenten als impulsgebender Mechanismus des Mercosur könnte als offenkundiges Indiz einer beträchtlichen Kluft zwischen der jeweils konkreten Wirtschaftspolitik eines jeden Partnerlandes und der Aufbaustrategie des Mercosur angesehen werden. Abgesehen von der Anfangsphase, in der die halbjährlich stattfindenden Treffen der Wirtschaftsminister und Zentralbankpräsidenten tatsächlich eine treibende Kraft darstellten, scheinen die Wirtschaftsminister in der Folgezeit - und daran besteht kein Zweifel - Abstand davon genommen oder möglicherweise das Interesse daran verloren zu haben, unmittelbar beim Aufbauprozess des Mercosur zu intervenieren. Lediglich in Krisenzeiten kam es ihrerseits zu einer Intervention. Dies kann sogar das offenkundige Ausbleiben von Fortschritten auf dem Gebiet der Koordination makroökonomischer Maßnahmen in der Politik, insbesondere in der Zeit nach dem Gipfel von Ouro Preto, erklären. Aber es kann u.a. auch den fortschreitenden Niedergang des Mercosur als formaler Prozess sowie seiner Mechanismen erklären.

Der formale Prozess und seine Mechanismen
Auf einer dritten Ebene, der des formalen Prozesses und seiner Mechanismen, lassen sich ein eher unbeständiger Fortschritt sowie bescheidene Ergebnisse beobachten. Zwar gab es eine erste Phase, in der ein rascher Fortschritt möglich schien, jedoch endete diese in einer relativen Lähmung sowie in einer Effektivitätskrise der vertraglich vereinbarten Mechanismen. Es ist die Phase des PICAB (Anm.d.Ü.: Programa de Integraciön y Cooperation Econömica entre Argentina y Brasil / Programm für Integration und Wirtschaftliche Zusammenarbeit zwischen Argentinien und Brasilien), die 1988 nach zwei Jahren des Funktionierens gemäß dem Libreto ins Stocken geriet, was in hohem Maße die Folge der politischen und wirtschaftlichen Entwicklung in den beiden wichtigsten Ländern, Argentinien und Brasilien, war. Der Großteil der im bilateralen Integrationsvertrag von 1988 gefundenen Kompromisse erinnert eher an die lateinamerikanische Praxis der Integration als Fiktion (integraciön-ficciön) als an einen glaubhaften Versuch, Fortschritte auf dem Weg hin zu einem tatsächlichen gemeinsamen Markt zu erzielen. Nach der ersten gab es eine zweite, starke Impulse ausstrahlende Phase, deren Beginn mit der Unterzeichnung des Vertrags von Asuncion anzusetzen ist und die sich bis zur internationalen und regionalen Wirtschaftskrise der Jahre 1998 und 1999 hinzog. Zu verdanken ist diese Phase teilweise einem sowohl internen als auch internationalen Klima, das derlei Initiativen in den beiden Partnerländern mit der größeren wirtschaftlichen Ausdehnung begünstigte, aber in hohem Maße auch dem Automatismus des Freihandelsprozesses selbst, der schließlich auch zur Öffnung des argentinischen und des brasilianischen Handels führte.

Im Anschluss an diese Phase begann eine dritte, deren Wurzeln vielleicht im Konzept des Mercosur selbst liegen, in Entscheidungen, die in Ouro Preto (beispielsweise in Fragen der nichttarifären Beschränkungen oder des Schutzes von Rechten) ge-fasst oder auch nicht gefasst wurden, aber auch im Ausbleiben von Fortschritten im Bereich der makroökonomischen und sektoralen Koordination, und die sich mindestens bis zum ersten Quartal des Jahres 2001 erstreckte. Es ist dies eine Periode, in der institutionelle Mängel ebenso offenbar wurden wie die schlechte Qualität der Spielregeln und die zunehmende Schwächung der wirtschaftlichen Präferenzen sowie der Gemeinschaftsdisziplin; alles Elemente, deren Stabilität bei dieser Art freiwilliger Integrationsprozesse souveräner Nationen wesentlich ist.

Das Bild
Auf einer vierten Ebene schließlich, der des Bildes, das Bürger, Investoren und Drittländer vom Mercosur haben, lässt sich eine starke Wechselbeziehung mit der Entwicklung des Prozesses selbst und seiner Mechanismen beobachten. In den ersten zwei Jahren des PICAB sowie in der ersten Phase des Mercosur war dieses Bild äußerst positiv. Im Jahre 1995, mit der Überwindung der Auswirkungen der Tequila-Krise, wurde hier gar ein Höhepunkt erreicht. Zu verdunkeln begann sich das Bild im Zeitraum von 1998 bis 1999, insbesondere im ersten Quartal des Jahres 1999, als die fehlende Funktionalität des formalen Prozesses und seiner Mechanismen mit aller Deutlichkeit offenbar wurde und sich die Probleme zu erkennen gaben, die auf dem Gebiet des wechselseitigen Handels sowie dem der internationalen Handelsgespräche, insbesondere im Bereich der ALADI (Anm. d.U.: Asociacion Latinoamericana de Integraciön / Lateinamerikanische Vereinigung für Integration), entstanden sind.

Von dieser Zeit an wurde der Mercosur zunehmend als Teil der Probleme, nicht aber der Lösungen wahrgenommen. Konflikte und Krisensituationen häuften sich und das Bild eines zum Stillstand gekommenen Prozesses begann Konturen anzunehmen; ein Bild, das bis heute fortbesteht. Man trat in einen Teufelskreis ein, der nach deren erfolgreichem Start auch bei der Andengruppe registriert worden war: Einen Teufelskreis aus einer weitgehenden Unwirksamkeit der Spielregeln, die in der Wirklichkeit nicht griffen, einer niedrigen Effizienz, da die erhofften Ergebnisse nicht erzielt wurden, eines Verlustes an Glaubwürdigkeit, da Bürger, Investoren und Drittländer an der Durchführbarkeit des Prozesses zu zweifeln begannen, sowie schließlich eines Schwindens seiner Anziehungskraft. Die von Chile geäußerten Zweifel daran, ob eine Vollmitgliedschaft im Mercosur dem eigenen Land überhaupt dienlich sei, sowie die in einigen Mitgliedsländern beobachteten Zentrifugalkräfte, die sogar zur positiven Einschätzung eines möglichen Szenarios im Sinne eines ALCA sin Mercosur" (Anm.d.Ü.: Area de Libre Comercio de las Americas sin Mercosur / Transamerikanische Freihandelszone ohne Mercosur) führten, sind aus der Perspektive des Attraktivitätsverlustes eben dieses Mercosur, der das erste Quartal des Jahres 2001 prägte, heraus zu untersuchen.

Im Mercosur dieser letzten Phase lässt sich, so scheint es, das beginnende, obgleich bei einigen Mitgliedsländern forcierte Eindringen des Virus der fehlenden gesellschaftlichen Legitimität beobachten, und zwar in dem Maße, in dem Zweifel daran aufkamen, ob die Partnerschaft getragen ist durch ein von Gewinn und Gegengewinn geprägtes Fundament und ob es von daher ratsam ist, die laufende Entwicklung in ihrer derzeitigen Form weiter zu führen. Die ursprüngliche Idee, so scheint es, wurde nicht hinterfragt. Dagegen wurden die Charakteristika und die Fortschritte des formalen Prozesses und seiner Mechanismen durchaus zunehmend in Frage gestellt. Immer häufiger konnte man Sätze hören, die übertrieben zu sein schienen, die indes das Gefühl zum Ausdruck brachten, der Mercosur ist tot (zumindest als strategisches Instrument zur Durchführung der komplexen internationalen Handelsgespräche innerhalb des ALCA) oder in seiner jetzigen Form ist er zu nichts nutze (zumindest als strategisches Instrument zur Anziehung von Investitionen in alle Mitgliedsländer oder zur Inangriffnahme der Transformation im Produktionssektor unter Beachtung der sozialen Gerechtigkeit).

In diesem Zusammenhang lässt sich sogar ein Problem des Marketing der Realität des Mercosur ausmachen, das in dem Moment auftritt, wenn das technisch fragwürdige Konzept der unvollkommenen Zollunion (union aduanera imperfecta) missbraucht wird. Weder im Falle der NAFTA, die weit davon entfernt ist, die Freihandelszone abschließend verwirklicht zu haben, noch im Falle der Europäischen Gemeinschaft, die lange Zeit benötigte, bevor sie ihr Ziel eines gemeinsamen Marktes oder gar eines Einheitsmarktes gänzlich erreichte, findet sich die von Führungsfiguren und fachkundigen Analysten verwandte Bezeichnung unvollkommen für ihre jeweiligen Freihandelszonen, ihre Zollunion oder ihren Einheitsmarkt. Das, was es sehr wohl gab, war eine Übergangsphase hin zur einer Zollunion; eine Idee, die durchaus mit dem Regelwerk der WTO im Einklang steht.

All dies erzeugt eine Situation, die sich teilweise auf den wechselseitigen Handel auswirkt, die ihre Auswirkungen jedoch vor allem auf die Ausrichtung der Investitionen innerhalb des erweiterten Wirtschaftsraumes hat, und somit die Folge einer ständigen Aushöhlung des Prinzips der Vorhersehbarkeit bei den Spielregeln zur Gestaltung unternehmerischer Entscheidungen und Strategien darstellt. Je mehr die Zielsetzungen des Mercosur in Zweifel gezogen werden, beispielsweise durch den Beginn einer Debatte darüber, ob eine Rückentwicklung zu einer Freihandelszone sinnvoll sei, ob eine Festigung der Zollunion als Vorstufe eines gemeinsamen Marktes anzustreben sei oder ob - vorausgesetzt, dies wäre rechtlich möglich - eine Pause auf dem Weg der Kompromisssuche eingelegt werden solle, desto mehr würde ein Klima der Unsicherheit und der Unentschlossenheit erzeugt, das sich unweigerlich auf die Pläne der Unternehmer sowie auf die Ausrichtung der für den erweiterten Markt bestimmten Investitionen auswirken würde.

Zehn Jahre nach seinem Start hat der Mercosur als regionale Realität sowie als strategische Idee nach wie vor seine Kraft und Geltung. Jedoch werden zunehmend Zweifel an seiner tatsächlichen Fähigkeit laut, als Instrument zur gemeinschaftlichen Verhandlung mit Drittländern oder als Instrument zur Anziehung von Investitionen in alle Mitgliedsländer zu dienen. Dies ist darauf zurückzuführen, dass der Mercosur als Prozess mit seinen Mechanismen sowie als Bild offensichtliche Mängel aufweist. Dennoch hat es in Integrationsprozessen dieser Art Lerneffekte hinsichtlich der Frage gegeben, wie Fortschritte erzielt und wie sie nicht erzielt werden können.

Soll der Stillstand des formalen Prozesses und die Eintrübung des über den Mercosur bestehenden Bildes überwunden und soll die Anpassung an neue internationale und interne Realitäten vorgenommen werden, denen sich die Mitgliedsländer gegenüber sehen, so ist jetzt ein starker politischer Impuls erforderlich. In diesem Sinne sollten die gemachten Erfahrungen in nutzbringendes Kapital umgewandelt werden, um zu verhindern, dass der Niedergang des Prozesses nebst seinen Mechanismen die Qualität und Form der erzielten Interdependenz beeinträchtigt, die sich auf jeden Fall ausweiten wird.

Drei zentrale Fragen hinsichtlich der bisherigen Erfahrungen

Drei zentrale Fragen sind es zunächst, die sich rückblickend auf die zehnjährige Erfahrung des Mercosur stellen. Sie lauten:

Welche Lehren können im Hinblick, auf die wesentlichen Fragen nach der Vorgehensweise bei der freiwilligen Integration souveräner Nationen gezogen werden?

Welche Szenarien sind mit Blick auf die Zukunft des Mercosur unter besonderer Berücksichtigung der Verhandlungen über den ALCA (Anm.d.Ü.: Area de Libre Comercio de las Americas / Transamerikanische Freihandelszone) sowie mit der Europäischen Union vorstellbar?

Welche Fragen können von zentraler Bedeutung für den künftigen Aufbau eines Mercosur sein, der den Zielen aller seiner Mitgliedstaaten, also der Konsolidierung der Demokratie und der Beschleunigung der Produktionsumwandlung im Rahmen gesellschaftlicher Solidarität sowie der Einbringung der eigenen Wettbewerbsfähigkeit in die Weltmärkte, dient?

Vorgehensweisen bei der Integration
In Bezug auf die erste Frage verdienen drei grundlegende Fragestellungen nach der Vorgehensweise bei der Integration besondere Aufmerksamkeit. Es sind die Fragestellungen, auf die sich die Reflexions- und Handlungsanstrengungen der Hauptakteure und Fachleute konzentrieren sollten.

Die erste Fragestellung ist die nach der Effizienz, d.h. danach, wie eine höchstmögliche Annäherung an die ursprünglich angestrebten Ergebnisse sowie an die Zielsetzungen erfolgen kann, die sich aus dem Aufbau einer Plattform ergeben, die einem verbesserten Wettbewerb sowie einer verbesserten Verhandlungsführung in einer globalisierten Welt dient, in der die nationale Identität eines jeden Mitgliedslandes erhalten bleibt. Es ist eine Frage nach der Neudefinition der Struktur des Prozesses sowie einiger seiner Mechanismen und Spielregeln mit dem Ziel, dessen Effektivitätspotenzial, also dessen Verwertbarkeit in der Wirklichkeit, zu steigern. Diese Frage steht in direktem Zusammenhang mit der Frage danach, wie eine dynamische Konzertation der beteiligten nationalen Interessen entwickelt werden kann, um zu erreichen, dass die Mechanismen und Spielregeln in einem von Gewinn und Gegengewinn geprägten Fundament verankert sind und nicht als Eigenmechanismen eines Nullsummenspiels wahrgenommen werden.

Die zweite Frage ist die nach der Glaubwürdigkeit des Mercosur im Bewusstsein von Investoren und Drittländern, also danach, wie ernst der Mercosur sowohl als Prozess als auch als Gesamtheit seiner Mechanismen durch denjenigen genommen werden kann, der Investitionsentscheidungen trifft und unternehmerische Strategien entwirft, und der diesen Mercosur als seriösen Gesprächspartner in den internationalen Beziehungen sowie bei der Aufnahme internationaler Handelsgespräche bewertet. Das kollektive Gedächtnis hinsichtlich der lateinamerikanischen Tradition einer Integration als Fiktion" (inte-graciön-ficciön) - d.h. eine Rhetorik, die die Wirklichkeit nicht erfasst bzw. Verpflichtungen, die sich in Luft auflösen oder schlichtweg nicht erfüllt werden -, wirkt sich auf die Empfindungen aus, die Bürger, Investoren und Drittländer bei der Bewertung der Verpflichtungen des Mercosur haben, und macht diese überaus sensibel für jedes Anzeichen einer Schwächung der Bereitschaft, die gesteckten Ziele zu erreichen. Die Glaubwürdigkeit wird also in hohem Maße von der Wirksamkeit der Mechanismen und Spielregeln abhängen.

Die dritte Fragestellung ist die nach der gesellschaftlichen Legitimität, d.h. nach der Wahrnehmung des Mercosur in der öffentlichen Meinung eines jeden Landes. Es ist die Frage danach, wie relevant der Mercosur ist, um auf ihre Erfordernisse, Vorhaben und Interessen zu reagieren, d.h. auf die drängendsten Probleme der politischen, wirtschaftlichen und sozialen Agenda des jeweiligen Landes. Anders ausgedrückt, es ist die Frage nach der tatsächlichen Aufteilung von Kosten und Nutzen des Integrationsprozesses unter den Mitgliedsländern vor dem Hintergrund ihrer nationalen Zielsetzungen und Interessen, und dies vor allem, wenn man das ausgesprochene Ungleichgewicht innerhalb der bestehenden wirtschaftlichen Dimension in Betracht zieht. Dies führt dazu, die Frage nach den Unkosten des Mercosur, so wie dieser konzipiert und ausgestattet ist, zu stellen und in Relation zu anderen Möglichkeiten der wirtschaftlichen Präsentation auf internationaler Bühne oder zu anderen möglichen Formen des wirtschaftlichen Integrationsprozesses zu setzen. In der Praxis ist es die Frage danach, wer in der in einigen der Mitgliedsländer mit immer stärkerer Akzentuierung geführten Debatte unterliegt, in der es einerseits um den Mercosur als Prozess mit seinen Mechanismen und andererseits um den ALCA bzw. um andere vorstellbare Varianten einer speziellen und präferenziellen Beziehung zu den Vereinigten Staaten geht. Nur in dem Maße, in dem dies in Rechnung gestellt wird, werden die Reichweite und der Sinn dieser Debatte verständlich sein. Nur ein Mercosur, der als Prozess und als Gesamtheit seiner Mechanismen wieder Attraktivität gewinnt, wird nicht als Option gewertet werden, sondern als unvermeidlicher Weg, über eine alle beteiligten nationalen Interessen zufrieden stellende Freihandelszone auf dem amerikanischen Kontinent (ALCA) zu verhandeln, in welcher Form diese auch immer zu verwirklichen wäre. Von der gesellschaftlichen Legitimität werden letztlich auch die Tragfähigkeit und die Effizienz des formalen Prozesses der wirtschaftlichen Integration sowie seiner Mechanismen und Spielregeln abhängen.

Die gemachten Erfahrungen geben zu erkennen, dass es bei einem freiwilligen Integrationsprozess souveräner Nationen, die keinesfalls eine Aufgabe ihrer Souveränität beabsichtigen, politisch notwendig ist, vorrangig Antworten auf die Fragen der Effizienz, der Glaubwürdigkeit und der Legitimität zu geben. Dies ist nicht ohne eine Verfeinerung der Konzertationsmechanismen zu erreichen, die es ermöglichen, in dynamischer Form die Wechselseitigkeit der nationalen Interessen als Stützpfeiler der Partnerschaft zu bewahren und gleichzeitig Spielregeln festzulegen, die tatsächlich befolgt werden können. Dies bedeutet, ein gutes Maß an Rechtssicherheit und Vorhersehbarkeit mit der ausreichenden Flexibilität zur Bewältigung der Veränderungen bei den nationalen und internationalen Gegebenheiten miteinander in Einklang zu bringen. Es bedeutet aber auch eine starke politische Führung sowie die notwendige Beteiligung der Zivilgesellschaft bei der Definition der nationalen Interessen, die im Kontext des Gemeinschaftsprojekts betroffen sind. Es handelt sich also um einen Prozess, der ununterbrochen in Gang gehalten werden muss durch Anregungen und Initiativen, die in der Wirklichkeit verwurzelt sind. Die größte Verantwortung hierbei kommt vor diesem Hintergrund den Ländern zu, die mit genügenden Machtressourcen ausgestattet sind, um eine Führungsrolle zu übernehmen. Sollte dies nicht gewährleistet sein, verliert ein derartiger Prozess an Dynamik und gelangt schließlich zum Stillstand, wie die Erfahrungen Europas und der ehemaligen Andengruppe, jede auf ihre Weise, beweisen.

Mögliche Szenarien
Was die zweite Fragestellung betrifft, so kann man von mindestens drei Tendenzen bezüglich möglicher Zukunftsszenarien des Mercosur ausgehen. Hierbei sind selbst Kombinationsformen dieser verschiedenen Szenarien denkbar.

    a) Die Bedeutungslosigkeit
    Die erste mögliche und keineswegs unwahrscheinliche Tendenz ist diejenige hin zu einer kontinuierlichen Erlahmung des Prozesses, seiner Mechanismen sowie des von ihm bestehenden Bildes, also eines schrittweisen Übergangs zu einer wachsenden Bedeutungslosigkeit, was die Agenda sensibler Fragen aller oder einiger Mitgliedsländer betrifft. Eswäre dies ein Szenario, das man als "aladificacion" (Anm.d.Ü.:Aladifizierung", d.h. Umwandlung im Sinne der ALADI, Asociaciön Latinoamericana de Integracion / Lateinamerikanische Vereinigung für Integration) des Mercosur bezeichnen könnte: Zwar würde letzterer als Prozess weiterbestehen, jedoch würden sich seine Verpflichtungen verflüchtigen und in den Augen der Bürger, Investoren und Drittländer an Effizienz verlieren, auf deren Entscheidungen und Strategien er somit auch keine nennenswerten Auswirkungen mehr hätte. Im Falle eines solchen Szenarios würde der Mercosur sogar noch als formaler Prozess fortbestehen, sähe sich jedoch gemeinsam mit so vielen anderen lateinamerikanischen Integrationserfahrungen in eine Art Museum der Unbedeutsamkeiten verbannt. Niemand würde mehr nach ihm fragen. Ein Szenario also, das sich auf die Zielsetzungen einer von kooperativer Interdependenz geprägten Region funk-tionsstörend auswirken kann, und dies nicht nur im Bereich des Mercosur selbst, sondern auch im gesamten südamerikanischen Bereich. Die ursprüngliche strategische Idee würde somit ein Opfer der Erosion.

    b) Die Auflösung
    Die zweite mögliche und ebenfalls relativ wahrscheinliche Tendenz ist die in Richtung einer Auflösung des Mercosur im weiteren und undifferenzier-teren Umfeld einer möglichen Integration der gesamten. Hemisphäre in einer der Varianten des ALCA. Ein solches Szenario könnte auch neben dem oben genannten bestehen. Es könnte das Ergebnis eines - de facto oder de jure - umgewandelten Mercosur in eine Art Freihandelszone sein. Der gemeinsame Außenzoll hätte sich hierbei aufgelöst, besonders im Hinblick auf sein Hauptelement, d.h. die Frage der Gemeinschaftsdisziplin im Bereich der Zollpolitik. Jedes Land würde sich somit als Einzelgebilde in eine große, die gesamte Hemisphäre umfassende Freihandelszone eingliedern. Der Mercosur würde als Wirtschaftsregion fortbestehen. Der Prozess mit seinen Mechanismen als solcher würde jedoch durch den Prozess und seine Mechanismen abgelöst werden, der auf der Ebene der gesamten Hemisphäre in Gang gebracht würde. Dieses Szenario könnte seinerseits das Resultat der laufenden ALCA-Verhandlungen oder der Umwandlung des ALCA in ein Netz von Freihandelsabkommen sein, dessen wirtschaftliches Epizentrum auf Hemisphärenebene die Vereinigten Staaten wären. Dessen derzeitige Mitglieder könnten ggf. Freihandelsabkommen mit der Europäischen Union aushandeln, so wie es bereits Mexiko getan hat und so wie es Chile zu tun beabsichtigt. Die Auswirkungen solcher Verhandlungen auf die südamerikanische Interdependenz sind schwer vorhersagbar, könnten jedoch möglicherweise denen gleichen, die sich im Falle eines Szenarios der Bedeutungslosigkeit zeigen würden. Auch in diesem Falle würde die ursprüngliche strategische Idee ein Opfer der Erosion.

    c) Die Konsolidierung
    Die dritte mögliche und eher unwahrscheinliche Tendenz würde jene hin zu einer Erneuerung und Festigung des Mercosur-Prozesses und seiner Mechanismen als eines regionalen und institutionalisierten Subsystems mit zunehmend südamerikanischer Dimension sein. Es ist das Szenario, das seitens der Regierungen offiziell bevorzugt wird und das mit den auf dem letzten Südamerikanischen Gipfel in Brasilia gesteckten Zielsetzungen in positive Verbindung gebracht wird. Es wäre das Szenario eines ernst zu nehmenden" Mercosur; eines Mercosur mit Präferenzen, Disziplin und Spielregeln, die tatsächlich eingehalten werden und die die Interessen aller Mitgliedsländer berücksichtigen. In diesem Falle stünde der Mercosur als Prozess mit seinen Mechanismen für Verpflichtungen, die über jenen anzusiedeln sind, die gegenüber dem ALCA eingegangen würden. Er würde zudem sein Potenzial behalten, gleichzeitig konkrete Freihandelsverhandlungen mit der Europäischen Union zu führen. Und schließlich würde er einen entscheidenden Beitrag zur gesellschaftlichen Legitimität der sowohl innerhalb der Hemisphäre als auch auf transatlantischer Ebene geführten Handelsverhandlungen leisten. Es wäre das Szenario, das in der Tradition der ursprünglichen strategischen Idee stünde, die zum PICAB und später zum Prozess des Mercosur geführt hatte.

Der kommende Aufbau
In Bezug auf die dritte Fragestellung ist die Frage nach dem zu beantworten, was in eine Agenda der Erneuerung und Konsolidierung des Mercosur ais Prozess und als Gesamtheit seiner Mechanismen und Spielregeln sinnvollerweise aufgenommen werden soll, wenn diese Spielregeln die Interessen eines jeden Mitgliedslandes an der Schaffung eines regionalen Umfelds widerspiegein sollen, das deren jeweilige Anstrengungen zur Stärkung der Demokratie, zur wirtschaftlichen Modernisierung, zur Förderung des gesellschaftlichen Zusammenhalts sowie zur Einbringung der eigenen Wettbewerbsfähigkeit in eine globalisierte Welt unterstützt. Es ist dies das ursprünglich für den Mercosur gedachte Szenario und, meiner Meinung nach, immer noch das Szenario, das aus dem Blickwinkel der nationalen Interessen der einzelnen Mitgliedsländer heraus bevorzugt werden sollte. Schließlich ist es auch das Szenario, das den größten Beitrag zur Entwicklung von politischer Stabilität und Demokratie im südamerikanischen Raum leisten kann.

Schlussfolgerungen: die Felder des bevorzugten Handlungsbedarfs für einen möglichen und wünschenswerten Mercosur

Zehn Jahre Erfahrung werfen ein Licht auf die Frage, wie die Situation bewältigt werden kann, in der sich der Mercosur zu Beginn des Jahres 2001 befindet, und wie dessen zukünftige Entwicklung sichergestellt werden kann. Dieses Licht erhellt auch den Weg zum anstehenden Aufbau des strategischen Bündnisses zwischen Argentinien und Brasilien. Wie der uruguayische Historiker Alberto Methol Ferre) zu Recht hervorgehoben hat, stellt der Mercosur das Resultat eben dieses Bündnisses dar, das nach wie vor dessen Rückgrat bildet.

Die positiven Ergebnisse brauchen kaum in Erinnerung gerufen zu werden. Sie haben ihren Niederschlag in einer Steigerung des Handels und der Investitionen gefunden, aber auch in einem Bild des Mercosur, das zeitweise äußerst attraktiv war. Sie haben eine regionale Wirklichkeit gegenseitiger Interdependenz - im Positiven wie auch im Negativen - geschaffen, die kaum umkehrbar ist, wie immer auch das künftige Schicksal des formalen Prozesses der wirtschaftlichen Integration aussehen mag. Die vielen erzielten Erfolge über Bord zu werfen und die strategischen Zielsetzungen zurückzuschrauben, bedeutete einen Rückschlag für die vielen Investoren, die die von der Regierung nach Abschluss des Vertrags von Asunciön ausgesandten Signale ernst genommen haben, denen zufolge sie sich den Zugang zu mehr als 200 Millionen Verbrauchern erhofft hatten. Es bedeutete darüber hinaus eine Beeinträchtigung der von den Investoren erworbenen und die einzelnen Mitgliedsländer formal bindenden Rechte sowie, dies besonders, eine Beeinträchtigung der internationalen Glaubwürdigkeit der vier Länder.

Andererseits ist es aber auch, wie bereits zuvor dargelegt, notwendig einzugestehen, dass der Mercosur als formaler Integrationsprozess eine Periode der Unsicherheit, ja sogar des Stillstands, durchläuft. Dies hat zur Folge, dass das Projekt an Glaubwürdigkeit, an Attraktivität sowie an Effizienz einbüßt. Selbst die Legitimität in den Augen der Öffentlichkeit kann verloren gehen. Dies alles schmälert sein Potenzial zur Anziehung von Investitionen und beeinträchtigt seine Fähigkeit, als brauchbare Plattform zu fungieren, die dem Wettbewerb und der Verhandlungsführung in der Welt dient. Eine derartige Situation ist, falls sie sich verlängern sollte, niemandem der Mitgliedsländer gelegen, erst recht nicht denen mit geringerer Wirtschaftskraft. Der Mercosur würde in einer solchen Lage an Bedeutung verlieren und sich in den Verpflichtungen auflösen, die dann im Rahmen des ALCA, in welcher seiner Varianten auch immer, übernommen würden. Dies wiederum würde zu einer Verstärkung jener Fragmentierungs-tendenzen führen, die im regionalen südamerikanischen Raum bereits zu beobachten sind. Vom politischen und strategischen Standpunkt aus gesehen, wird ein solches Szenario selbst den Vereinigten Staaten nicht genehm sein, führt man sich die wachsenden Schwierigkeiten vor Augen, die sich im Hinblick auf die politische Stabilität einiger der südamerikanischen Länder zeigen.

Am Vorabend komplexer Verhandlungen im ALCA sowie mit der Europäischen Union und ggf. auch mit der WTO ist ein ernst zu nehmender" Mercosur, mit einer gelungenen Kombination aus Flexibilität und Berechenbarkeit, mit wenigen qualitativ hochwertigen Spielregeln und Institutionen, die diese Verhandlungen flankieren, immer noch die beste Option, die die vier Mitgliedsländer haben, um die anspruchsvolle Welt der Globalisierung und der großen regionalen Blöcke, der hohen finanziellen Volatilität und der Wettbewerbsvorteile in den Griff zu bekommen. In der richtigen Form konzipiert, kann der Mercosur sowohl unter den Mitgliedsländern als auch innerhalb dieser Länder einen Dis-ziplinierungseffekt hervorrufen, der besonders die makroökonomischen Schritte in der Politik wie den Außen- und Sektoralhandel betrifft. Ein solcher Dis-ziplimerungseffekt war auch einer der wesentlichen Beiträge der Europäischen Union zur Entwicklung eines von Stabilität, Demokratie und wirtschaftlicher Modernisierung geprägten Raumes, der aus dem harten deutsch-französischen Kern sowie, seit den siebziger Jahren, aus seiner zunächst auf die mediterranen und später auf die osteuropäischen Länder zielende Erweiterung hervorgegangen ist. Trotz noch bestehender protektionistischer Restbestandteile, die der Mehrheit der industrialisierten Länder gemeinsam sind, hat dieser Effekt entscheidend zur Handelsöffnung sowie zur Wettbewerbsfähigkeit der europäischen Nationalwirtschaften beigetragen.

Mit dem Ziel, die Tendenz hin zu einer Konsolidierung des Mercosur als formalem Prozess zu stärken und dessen Bild substanziell zu verbessern, ist es angesichts der in den vergangenen zehn Jahren gemachten Erfahrungen zweckmäßig, sich auf eine zügige Arbeit an vier vorrangig zu bewertenden Aktionsfronten zu konzentrieren. Diese sollten hierbei nicht so sehr aus dem Blickwinkel der traditionellen Kategorien von Freihandelszone, Zollunion und gemeinsamem Markt in Angriff genommen werden. Eine gesunde, eher unorthodoxe Sicht der Dinge würde den Weg freimachen für die Reflexion, die Debatte, die Aktion und die notwendigen Verhandlungen. Die Frage, um die es geht, ist die, wie ein dichtes Netz von Mechanismen und Spielregeln gespannt werden kann, die gleichzeitig die Entwicklung von sozialen Netzen wie auch von Produktionsketten zum verbesserten Wettbewerb und zur verbesserten Verhandlungsführung auf globaler Bühne ermöglichen. Die unter anderem von Manuel Castells artikulierte Idee eines Netzwerks der Integration (integraciön-red) als Rahmen zur Stimulierung und Förderung einer Netzarbeit aller bedeutenden gesellschaftlichen Akteure des gemeinsamn Raumes ist die Idee, die für den Mercosur in der derzeitigen Lage und für die Eingliederung seiner Mitgliedsländer in der Welt die angemessenste ist. Es ist die Idee, die am ehesten der Notwendigkeit der Mitgliedsländer des Mercosur entspricht, vielfältige Bündnisse im Rahmen ihrer internationalen Handelsbeziehungen, die weder ausschließlichen noch ausschließenden Charakter haben, sondern durchaus miteinander vereinbar sind, einzufädeln.

Die Artikulierung nationaler Interessen
Die erste dieser vorranig zu bewertenden Aktionsfronten ist die der Methoden zur Artikulation der jeweiligen nationalen Interessen vor dem Hintergrund großer interner und internationaler Volatilität. Dies bedeutet die Perfektionierung von Mechanismen zur Findung von Entscheidungen, die die Interessen und Gegebenheiten der einzelnen Mitgliedsländer in die weitmöglichste Perspektive der gemeinsamen strategischen Zielsetzungen einordnen. Dies bedeutet aber auch die Institutionalisierung der Flexibilität der Spielregeln sowohl in Bezug auf den wechselseitigen Handel - beispielsweise in Form der Einrichtung von Ventilen zur Vermeidung von Krisensituationen, die innerhalb strenger Grenzen und Vorgehensweisen sowie bevorzugt im Rahmen von Abkommen oder sektoralen Wettbewerbs- und Exportprogrammen zu erfolgen hätte - als auch in Bezug auf die Außenhandelspolitik. Hierbei müsste ein gemeinsamer Außenzoll, der vorübergehend auf Sektoren- bzw. landesbezogene Sondersituationen anzuwenden wäre, inbegriffen sein, es müssten die besonderen Umstände eines jedes Mitgliedslandes berücksichtigt und es müsste gleichzeitig ein vertretbares Maß an Vorhersehbarkeit für die Investoren sichergestellt werden. Die Verhandlungen hierüber müssten aus naheliegenden Gründen unter Berücksichtigung der möglichen Auswirkungen auf den Handel und auf die Investitionen selbst geführt werden. Die Interpretationsweite und die Zweideutigkeit von Artikel XXIV des GATT-Abkommens von 1994, aber auch die Deutungsweite der in seinem Zusammenhang gemachten konkreten Erfahrungen geben genügend Spielraum für eine gesunde, der wirtschaftlichen Rationalität keineswegs zuwiderlaufende Handlungsfreiheit, vor allem in der flexiblen Handhabe der Frage des gemeinsamen Außenzolls in der Übergangszeit zu einem einheitlichen Zollgebiet. Dies würde sogar die Eingliederung Chiles als Vollmitglied des Mercosur ermöglichen, was dessen Glaubwürdigkeit und äußeres Erscheinungsbild schlagartig erhöhen bzw. aufhellen würde. Während einer im Regelwerk der WTO vorgesehenen Übergangszeit wäre die Hauptaufgabe die Sicherstellung der kollektiven Dispizlin in der Außenzollpolitik der jeweiligen Länder, bis zu dem Punkt, an dem der gemeinsame Außenzoll seine Entwicklung abgeschlossen hat. Dies bedeutet, dass die eventuell auftretenden Schwankungen im Außenzoll sich im Rahmen gemeinsamer Regeln zu ihrem Ausgleich entwickeln sowie innerhalb automatischer Prozesse zu ihrer Konvergenz gesteuert werden.

Vor allem bedeutet dies jedoch die Notwendigkeit zu einer großen Reflexions- und Aktionsanstrengung in einem jeden der Mitgliedsländer selbst im Hinblick auf dessen tatsächliche nationale Interessen betreffs der Einbringung der eigenen "Wettbewerbsfähigkeit auf regionaler und auf globaler Ebene. Dies schließt zudem auch die Behebung von in einigen Fällen beobachteten offenkundigen Mängeln bei der Art und Weise ein, wie die sektoralen und regionalen Interessen innerhalb der einzelnen Länder selbst artikuliert werden. In dieser Fragestellung erscheint es empfehlenswert, dass die Mitgliedsländer sich zur Institutionalisierung der Funktionsweise ihrer jeweiligen Nationalbehörden für den Gemeinsamen Markt (Secciones Nacionales del Grupo Mercado Comün) verpflichten, um so zum einen eine effizientere Koordination der Regierungen untereinander bei der Definition der nationalen Ziele innerhalb des Mercosur zu erzielen, zum anderen aber gleichzeitig auch eine höhere Beteiligung der Zivilgesellschaft auf den verschiedenen Artikulationsebenen. Ein solcher Schritt würde es ermöglichen, die Gruppe der Landeskoordinatoren des GMC (Anm.d.LJ.: Grupo Mercado Comün / Ländergruppe des Gemeinsamen Marktes) als die Operationsachse der institutionellen Struktur zu stärken, womit die Strukturen des COREPER (Anm.d.Ü.: Comite de los Representantes Permanentes de los Estados Miembros de la Union Europea / AStV, Ausschuss der Ständigen Vertreter der Mitgliedstaaten der Europäischen Union), des eigentlichen harten Kerns der europäischen Institutionen, nachgezeichnet würden. Dieses Kollegium könnte in seinem Aktionsbereich eine technische Leitung einrichten, deren Mitglieder auf der Basis von Ausschreibungen gewählt und mit zeitlich begrenzten Verträgen ausgestattet würden. Dies würde die Aufgabe erleichtern, die im Einvernehmen mit den Mitgliedsländern zu treffenden Entscheidungen vom technischen Standpunkt her vorzubereiten, und zwar sowohl im Bereich der Festigung und Vertiefung des Mercosur als auch im Bereich der Erweiterung der Märkte im Rahmen der Außenhandelsverhandlungen. Es würde der Netzwerkarbeit aller Regierungsbehörden einen Impuls verleihen, in deren Kompetenzen die Fragen der gemeinsamen Interessen liegen, so beispielsweise auf dem Gebiet der Exportförderung und der Gesundheitskontrolle, der Steuern und Zölle, der Handelsverteidigung und des Wettbewerbs, aber auch des wissenschaftlichen und technologischen Fortschritts. Darüber hinaus würde es ebenfalls die Netzwerkarbeit der Dach- und Sektoralorganisationen des Unternehmerbereichs anregen sowie andere institutionelle Artikulationseinrichtungen der Zivilgesellschaft, des akademischen und kulturellen Lebens, der politischen und gewerkschaftlichen Bühne sowie schließlich der Bewegungen zum Schutz der Verbraucher sowie der Umwelt.

Der Ausbau der Mercosurpräferenz
Die zweite Aktionsfront ist die des Ausbaus der Mercosurpräferenz, was nicht nur die Verbesserung des immer noch von unnötigen Mängeln geplagten Freihandelsraums bedeutet, sondern auch die wirksame Ausweitung der Präferenz auf Dienstleistungen und Käufe der Regierung. Hierbei ist genau der Mut vonnöten, den Präsident Fernando Henrique Cardoso forderte, als er Kanzler Celso Lafer in sein Amt einführte. Das gesteckte Ziel sollte klar sein: die Ausdehnung des Konzepts des internen Marktes auf alle Güter und Dienstleistungen. Die dabei zu setzenden Fristen können und sollen realistisch sein. Jedoch müssen die Märkte und die Bürger deutlich wissen, welches die tatsächliche Richtung ist, in die der Mercosur steuert. Derzeit ist der Horizont noch konturenlos und unklar. Diese Unklarheit wird noch verstärkt durch die fehlende Transparenz bei den Spielregeln. Es ist schwer zu erkennen, welche von ihnen tatsächlich in den jeweiligen Ländern gelten, und selbst der Zugang zur Kenntnis der verschiedenen Abkommen und Entscheidungen, Resolutionen und Erlasse bleibt demjenigen verwehrt, der den darauf spezialisierten Regierungsbehörden nicht angehört. Es wäre zu wünschen, dass allen Akteuren der Zivilgesellschaft über das Internet der problemlose Zugang zum tatsächlichen Rahmenwerk der rechtlichen Verpflichtungen des Mercosur offen stünde. Dies wäre eine vorrangige Aufgabe der derzeitigen Verwaltungsbehörde, deren Sprecherbüro derzeit lediglich die Titel der entsprechenden Verträge bekannt gibt. Die bestehende rechtliche Verwirrung um das sogenannte Automobilabkommen (acu-erdo automotriz) mag hier nur als ein Beispiel dienen.

Die Stärkung der kollektiven Disziplin
Die dritte Front ist die der Stärkung der kollektiven Disziplin auf dem Gebiet der Makrowirtschaftspolitik, der Außenhandelspolitik sowie der Verhandlungsführung mit Drittländern und mit Wirtschaftsblöcken durch die jeweiligen Regierungen. Es kann nicht bestritten werden, dass die bis heute auf diesem Gebiet erzielten Ergebnisse dürftig sind. Es geht nicht darum, bereits an die Pforte des Paradieses zu gelangen. Worum es dagegen geht, ist, ein Mindestmaß an Spielregeln aufzustellen, die das Bemühen der Mitgliedsländer um ein gemeinsames Vorgehen in den Augen von Investoren und Drittländern glaubhaft erscheinen lassen. Es ist nötig, diese durch Taten zu überzeugen, d.h. davon, dass die vier Partnerländer, und insbesondere Argentinien und Brasilien, in der Tat bereit sind, die faktische Notwendigkeit eines Mindestmaßes an kollektiver Disziplin anzuerkennen, die ihrem natürlichen Hang zur Ergreifung unilateraler Maßnahmen jenseits der beschlossenen Kompromisse Schranken setzen, und die selbst zu einer tatsächlichen Beschränkung des versprochenen unbeschränkten Zugangs zu ihren jeweiligen Märkten oder zu einer künstlichen Verzerrung der relativen Wettbewerbsbedingungen in dem integrierten Wirtschaftsraum führen könnten. Es handelt sich also um ein Projekt, dessen Tragfähigkeit auf einer außergewöhnlichen Anstrengung - größer noch als die bis zum jetzigen Zeitpunkt unternommenen - zur Festlegung der Produktionsstrukturen beruht, und dies besonders in den für alle Mitgliedsländer höchst empfindlichen Bereichen. Die Idee der Integration von Produktionsketten im Umfeld von Wettbewerbsforen und sektoralen Exportprogrammen verdient heute die vorrangige Aufmerksamkeit von Regierungen und Unternehmern. Letzteren einen erneuerten FONPLATA (Anm.d.Ü.:Fondo Financiero para el Desarrollo de la Cuenca del Rio Plata / Finanzfonds zur Entwicklung des Rio Plata-Beckens) an die Hand zu geben, der auf den Erfahrungen des Europäischen Investitionsfonds beruht, könnte ein bedeutender Schritt in Richtung einer breiteren Beteiligung der kleinen und mittleren Unternehmen an der Regionalintegration, aber auch in Richtung ihres Engagements in regional operierenden Netzwerken sein, deren Ziel der Wettbewerb auf Weltebene ist. Dies wäre eine Antwort auf die zentrale Idee des Südamerikanischen Gipfels von Brasilia, Netzwerke der physischen Integration, des Transports, der Logistik und der Verteilungsketten, aber auch der Energie sowie der Telekommunikationssysteme zu bilden, deren Mittelpunkt mächtige, als Rückgrat fungierende Integrationsachsen sind.

Das Vorgehen bei Handelskonflikten
Die vierte Front schließlich ist die des Vorgehens bei natürlichen Handelskonflikten. Hierbei sind keine komplexen institutionellen Strukturen erforderlich, sondern die volle Anwendung der derzeitigen Regierungsmechanismen, wobei besonders die tatsächliche Funktion der Handelskommission und der Gruppe des Gemeinsamen Marktes zu stärken wäre. Dies bedeutet die Entwicklung der nationalen Verwaltungsmechanismen für die den Mercosur betreffenden Handelsfragen. Es bedeutet darüber hinaus, die bestehenden Konfliktlösungsmechanismen (Protokolle von Brasilia und Ouro Preto) zu vervollkommnen, wobei eine Reihe einfacher Regeln (unabhängige Expertengruppen auf Handelskommissionsebene, transparente und unveränderliche Listen von Experten und Schiedspersonen, gemischte Auswahl von Schiedspersonen) konkret umgesetzt werden müsste und jedes Land die Vorstellung eines an wenigen, jedoch tatsächlich zu erfüllenden Regeln orientierten Prozesses (rule-oriented process) zu übernehmen hätte. Die Schaffung einer Reihe gemeinsamer Dienststellen beispielsweise im Bereich des Wettbewerbs- und Handelsschutzes, deren Mitarbeiter vertraglich gebundene Fachleute wären, würde ebenfalls zur Verbesserung der institutionellen Struktur des Mercosur beitragen.

Schlussfolgerungen
Als Schlussfolgerung darf festgehalten werden, dass im Rahmen der ursprünglichen strategischen Idee keines der derzeit bestehenden Probleme innerhalb des Mercosur als formalem Integrationsprozess nicht auf vernünftige Weise zu lösen wäre. Dies ist zumal in dem Maße der Fall, in dem der Wille zu Verhandlungen besteht, zum wirklichen Aufbau eines gemeinsamen Raumes und zur Bewahrung der Wechselseitigkeit der Interessen, der einzigen Form, die die partnerschaftliche Bindung der Länder sowie deren gesellschaftliche Legitimität zu tragen vermag.

Hierzu bedarf es indes einer starken kollektiven politischen Führung, organisatorischer Vorstellungskraft sowie der kreativen Teilnahme der Zivilgesellschaft. Außer Zweifel steht dagegen, dass ein Mercosur ohne Impulse und Initiativen in Zeiten heftiger Turbulenzen - dem Prinzip des Autopilots vergleichbar - zu nichts taugt. Mehr noch, er kann nur allzu leicht auseinander brechen.

Ein gefestigter Mercosur steht keineswegs im Widerspruch zur Idee des ALCA. Im Gegenteil, er kann die notwendige Voraussetzung für den Erfolg echter, die gesamte Hemisphäre umspannender Verhandlungen und, dies vor allem, für dessen gesellschaftliche Legitimität in den Mitgliedsländern sein. Ohne den Mercosur würde die Idee des Freihandels im Bereich der Hemisphäre weit eher Gegenstand einer ernsthaften Infragestellung durch die Gesellschaft selbst sein.


Félix Peña es Director del Instituto de Comercio Internacional de la Fundación ICBC; Director de la Maestría en Relaciones Comerciales Internacionales de la Universidad Nacional de Tres de Febrero (UNTREF); Miembro del Comité Ejecutivo del Consejo Argentino para las Relaciones Internacionales (CARI). Miembro del Brains Trust del Evian Group. Ampliar trayectoria.

http://www.felixpena.com.ar | info@felixpena.com.ar


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